Pressestimmen

1. April 1998
Podiumsdiskussion
"'Heil Dir im Siegerkranz!' -
Juden in der Burschenschaftsbewegung"

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Rhein-Main-Zeitung, 3. April 1998, Seite 75

Frankfurter Rundschau, Rhein-Main, 3. April 1998, Seite 34



Frankfurter Allgemeine Zeitung, Rhein-Main-Zeitung,
3. April 1998, Seite 75


"Kopf hinhalten" noch zeitgemäß
Diskussion zu "Juden in der Burschenschaftsbewegung"

h.r. OFFENBACH. Die Landespolitiker wären gut beraten, das soziale Milieu der Studenten nach englischem und amerikanischem Vorbild durchgreifend zu verbessern. Mit diesem Hinweis des Historikers Wolfgang Mommsen hat am Mittwoch abend die Veranstaltung zum Thema "Heil Dir im Siegerkranz" - Juden in der Burschenschaftsbewegung" gegen Ende der Diskussion eine Wendung in die Tagespolitik genommen. Mommsen, Urenkel des Historikers Theodor Mommsen, sah in der typisch deutschen studentischen "Einsamkeit und Freiheit", deren Überwindung schon vor 1848 der Verbindungsidee zugrunde lag, eine der Ursachen, warum auch heute noch Burschenschaften Anhänger fänden und an Hochschulstädten wie Heidelberg sogar eine kleine Renaissance erlebten. Vergleichbar mit der Burschenschaftsbewegung vom Vormärz bis zur Kaiserzeit hält allerdings der Bremer Sozialwissenschaftler Gerhard Schäfer diese neuere Entwicklung nicht. Es seien zwei Prozent der männlichen Studierenden, die sich solchen Korporationen angeschlossen hätten. Daß sie indes für ihre wenigen Mitglieder eine verläßliche "Seilschaft" bieten und für den gesellschaftlichen Aufstieg überaus nützlich sind, machte Schäfer an einigen Beispielen aus Politik und Wirtschaft deutlich.

Schäfer und Mommsen diskutierten auf Einladung der Max Dienemann / Salomon Formstecher-Gesellschaft Offenbach, des Hessischen Rundfunks und des S. Fischer Verlags im Jüdischen Gemeindezentrum. Anlaß gab neben dem Paulskirchen-Jubiläum auch die Entscheidung der Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, "das Portal der Paulskirche für Burschenschaften zu öffnen", wie der ARD-Journalist Jochanan Shelliem, Moderator des Gesprächs, zu Beginn sagte.

Die beiden Wissenschaftler - Schäfer ist Mitautor des Buchs "Blut und Paukboden - Eine Geschichte der Burschenschaften" - waren sich dann einig, daß sich der politische Charakter der schlagenden Verbindungen zwischen den Anfängen 1817 und der Kaiserzeit gewandelt hat. Anfangs habe der Kampf gegen die Napoleonische Herrschaft, getragen vom liberalen Emanzipationsgedanken, die Studenten bewegt. Die nationale und die völkische Komponente hätten, so Mommsen, noch ungeschieden nebeneinandergestanden, Schäfer sprach von einem ambivalenten Gemisch aus Freiheitswunsch, Deutschtümelei, Franzosenhaß und völkischen Elementen.

In dieser Zeit spielten Studenten jüdischen Glaubens in den Verbindungen kaum eine Rolle. Erst als die Burschenschaften zu einem "Faktor der sozialen Formierung deutscher Bildungsschichten" geworden seien, habe das Interesse auf jüdischer Seite zugenommen, so Mommsen. Viele hätten in ihnen ein Instrument gesehen, um jüdische Tradition und deutsche Kultur miteinander zu verbinden Außerdem habe die Korporation einen Weg gesellschaftlichen Aufstiegs verheißen und Juden "Kompensation für ihre Pariasituation" geboten. "Der Eintritt ist wie das Betreten des Aufzugs zum Establishment", zitierte Schäfer Norbert Elias.

Für Mommsen gehört es zur Tragik der deutschen Geschichte, daß durch die seit 1880 über Deutschland hinwegrollende antisemitische Welle diese Möglichkeit von Aufstieg und Integration verbaut wurde. Wahrend jüdische Deutsche nichts unversucht ließen, sich in den schlagenden Verbindungen zu integrieren, schlossen diese per Arierparagraphen Juden aus. 1894 war kein Jude mehr Mitglied in einer deutschen Burschenschaft.

Statt dessen bildeten nun jüdische Studenten eigene Verbindungen, in denen sie gegen den wachsenden Antisemitismus kämpften, gleichzeitig die klassische deutsche Kultur verteidigten und die Rituale der Burschenschaften übernahmen. Trinkgelage und Lieder ebenso wie Mensur und Farbentragen - für Mommsen ein überraschendes Phänomen. Scheinbar selbstverständlich seien die gleichen Instrumente bei modifiziertem Korpsgeist benutzt wurden.

Wie wenig "jüdisch" solche Verbindungen oft waren, schilderte ein Abschnitt aus der Autobiographie "Verwandlungen" von Alphons Silbermann, vorgetragen von Jochen Nix, Sprecher beim Hessischen Rundfunk. Der Kölner Soziologe, der kurzfristig seine Teilnahme an der Veranstaltung hatte absagen müssen, beschreibt in seinem Buch das hehre Ziel, deutschen Patriotismus und Kultur mit "jüdischer Bewußtseinshelle" zu verbinden - und erwähnt gleichzeitig, daß in der Korporation, wo er in den zwanziger Jahren Mitglied war, es weder den gemeinsamen Besuch des Gottesdienstes gab noch ein jüdisches Symbol in den Versammlungsräumen.

Schäfer sieht heute in der Bundesrepublik keinen Anlaß zur Hysterie gegeben, warnte aber auch davor, die Burschenschaftsbewegung nur als hinterwäldlerisch abzutun. Den "Kopf hinhalten", wie es bei der Mensur symbolisierend verlangt werde, sei für viele Führungspositionen in Politik und Wirtschaft nicht unwichtig und das alte Ritual daher weniger anachronistisch, als es auf den ersten Blick erscheine.

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Frankfurter Rundschau, Rhein-Main, 3. April 1998, Seite 34

Juden in den Burschenschaften blieben die Ausnahme
Emanzipatorisch oder völkisch, fortschrittlich oder reaktionär? - Diskussion im 150. Jahr nach der Revolution
Von Jürgen Schultheis

OFFENBACH. Im 150. Jahr nach der Revolution von 1848 geraten auch die Burschenschaften ins Blickfeld von Historikern und Soziologen. Jene studentischen Verbindungen, die nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon zuerst und mit großem Nachdruck nationale Einheit und Freiheit gefordert hatten. Emanzipatorisch oder völkisch, fortschrittlich oder reaktionär? Der Historiker Wolfgang Mommsen und der Soziologe Gerhard Schäfer haben im Jüdischen Gemeindezentrum in Offenbach am Mittwoch abend versucht, auf die Frage eine Antwort zu geben, und erörtert, welche Bedeutung Juden in den Burschenschaften hatten. Nationales und Völkisches waren nach Einschätzung Mommsens von Anfang an Komponenten burschenschaftlicher Haltung, wenngleich die "völkische Komponente nicht so stark wahrgenommen worden ist und die emanzipatorische im Vordergrund stand". Mit der Nähe zum Revolutionsjahr 1848 büßen die Korporierten ihre Avantgarde-Funktion ein: Der Frankfurter Wachensturm, "kindlich und naiv, militärisch ein Scherz", hat die Reaktion im Vormärz laut Mommsen eher beflügelt als erschrocken, zumal der Angriff keine Initialzündung für eine Revolution gewesen sei. Darüber hinaus hätten die Burschenschaftler ihre Führungsrolle mit 1848 verloren, weil sie nur "Teil einer Gesamtbewegung" gewesen seien. Haben die Kommilitonen nach 1815 die völkische Komponente nicht im gebotenen Maß wahrgenommen? Nicht nur Heinrich Heine hatte vernehmlich die Teutomanie auch der linken Burschenschaftler kritisiert; auch christliche Korporierte wie Karl Förster oder Richard Rothe lehnten das Völkische in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts ebenfalls strikt ab. Die Gegnerschaft zur Mehrheit der Burschenschaft, den Schülern Ernst Moritz Arndts und Friedrich Ludwig Jahns und ihrer völkischen Ideologie, war lange vor 1848 ein Thema innerhalb der Korporierten.

Juden in den Burschenschaften blieben die Ausnahme, wie etwa Karl Marx oder Arnold Rüge. Mit der "ersten antisemitischen Welle" (Schäfer) um 1880 schlagen die Türen für die Studierenden jüdischen Glaubens zu, und seit 1896 war die "Transformation zum Antisemitismus" nach Einschätzung Schäfers abgeschlossen. Mommsen nannte als Ursache für diesen "bestürzenden Prozeß" die Zuwanderung von Juden aus dem Osten. Die jüdischen Studierenden reagierten auf den Ausschluß mit der Gründung eigener Korporationen. Wegen des hohen Maßes der Identifikation mit der nationaldeutschen Kultur und der Tatsache, daß deutsche Juden deutscher gewesen seien als Deutsche anderen Glaubens (Mommsen), kopierten die jüdischen Studenten die traditionellen christlichen Verbindungen. Dabei entstanden laut Schäfer drei Richtungen, von denen eine farbentragend war und Mensuren gefochten hat, während andere weder Farben gezeigt noch Satisfaktion gegeben haben.

Die einen hielten am Versuch der Assimilation fest, andere Juden lehnten eine Akkulturation ab. In der Kaiserzeit bildeten die christlichen Burschenschaften die konservative Elite der Zeit, die im Blick auf die Rolle der Bildungsschichten während der Machtergreifung eine entscheidende Rolle gespielt haben. Aber erst mit dem starken Rechtsruck in der Weimarer Zeit näherten sich die Korporierten ideologisch der nationalsozialistischen Bewegung. Mommsen unterschied zwischen dem neuen Typus des antielitären NS-Machttechnikers und der wilhelminischen Elite, die bestenfalls in der Tradition der Konservativen Revolution gestanden habe. Schäfer wiederum meldete Zweifel an, ob zwischen beiden Gruppen zu Beginn der 30er Jahre unterschieden werden könne. Heute spielten die Burschenschaftler als "eigenständige Gruppe in der Gesellschaft" keine Rolle mehr (Mommsen). Schäfer warnte unterdessen vor einer neuen "Koalition aus Stiefel und Schlips".

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© Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft e. V.