PUBLIKUMSSTIMMEN UND FOTOS


Literatur im O-Ton am 29. Oktober 2017
Alte Schlosserei der EVO, Goethering, Offenbach am Main.

Deborah Feldman liest aus ihren Bestsellerromanen „Unorthodox“ und „Überbitten“

 

PRESSEECHO


Offenbach-Post, 1. November 2017

Vom Fundamentalismus befreit

Bestseller-Autorin Deborah Feldman sprach in der Alten Schlosserei der EVO über ihre Zeit in einer Sekte

Von Maren Cornils

Mit „Unorthodox“ hat Autorin Deborah Feldman vor fünf Jahren eine Abrechnung mit ihrem Leben als Mitglied der fundamentalistischen Sekte der Satmarer Chassidim vorgelegt. Jetzt erschien mit „Überbitten“ die Fortsetzung. Grund genug, sie zum Autorengespräch in die Alte Schlosserei der EVO einzuladen.

Zwar trifft Feldman am Sonntag auf dem Weg vom Flughafen Frankfurt erst mit einigen Minuten Verspätung in Offenbach ein. Dann aber entwickelt sich, moderiert von ARD-Hörfunkjournalist Jochanan Shelliem, schnell ein spannendes Gespräch über Träume, Freiheit, Selbstbestimmung und den jüdischen Glauben. Nicht immer ist es dabei für die Zuhörer leicht, der zwar perfekt Deutsch sprechenden, zeitweise aber wild zwischen den Themen hin- und herspringenden -Autorin zu folgen. Zumal diese in ihren Exkursen auf Sektengründer Joel Teitelbaum oder den im 17. Jahrhundert lebenden Pseudo-Messias Schabtai Zwi, zu sprechen kommt, der Kennern der Materie zwar bekannt, dem breiten Publikum aber kein Begriff ist.

Feldman schildert anschaulich, wie sich ihre Kindheit in einer fundamentalistisch-jüdischen Sekte anfühlte. Dass diese mitten im New Yorker Stadtteil Williamsburg und in den 1990er Jahren stattfand, ist kaum zu glauben, so antiquiert wirkt das, was Feldman von ihrem Alltag erzählt. So erfahren die Zuhörer unter anderem, dass Frauen bei den Satmarer Chassidim ihre Haare kurz geschoren tragen müssen, dass sie früh verheiratet werden und dass ihre Hauptbestimmung darin liegt, Kinder in die Welt zu setzen. Eine Ideologie, die für Feldman die Frauenfeindlichkeit des Vorkriegseuropas spiegelt und der sich die heranwachsende Frau nicht mehr unterwerfen mag.

Feldman probte früh den Ausbruch. Schon als Kind stiehlt sie sich heimlich davon, um in einer weit entfernten Stadtteilbibliothek englische Kinderbücher zu lesen. Sie stellt ihrer Umgebung Fragen und wird in einem Umfeld, in dem absoluter Gehorsam verlangt wird und jede Handlung ritualisiert ist, als widerspenstig eingestuft. Trotzdem: „Bis zu meiner Ehe war es immer mein Ziel, einen Weg zu finden, hier glücklich zu sein, indem ich mich anpasse. Der Zusammenprall kam erst nach der Hochzeit“, sagt sie.

Erst 2009 verlässt Feldman die Chassidim. Von Verwandten wird das mit den Worten kommentiert, man habe schon einen Sarg für sie besorgt. Worte, die deutlich machen, mit welcher Härte Andersdenkenden und Aussteigern begegnet wird. Doch Feldman will nicht anprangern, sondern erklären. Und so nimmt sie sich an diesem Abend auch Zeit, um die Geisteswelt der Satmarer zu erläutern. Sie erklärt, warum die Chassidim den Holocaust für eine Strafe an allen, nicht gläubig lebenden Juden begreifen und warum koschere Speisen ebenso tabu sind wie Fragen oder der Wunsch nach Wissenserweiterung.

Es sind kleine Geschichten aus dem Alltag, die Feldman sich von Shelliem entlocken lässt, ein Backnachmittag mit der geliebten Großmutter, der Genuss einer Hershey-Schokolade oder auch die verzweifelte Suche nach einem vorzeigbaren Stammbaum. Doch sie machen auf erschreckende Weise deutlich, wie abgeschottet und zivilisationsfern Feldman aufwuchs und wie klein ihre Welt war. Jahre, die Spuren hinterlassen haben und die Feldman nun in „Überbitten“ zu verarbeiten sucht. Noch immer, verrät die Autorin, gehe sie nur selten in Synagogen, noch immer fühle sie sich, obwohl sie mittlerweile in Berlin sesshaft geworden ist, ein Stück weit heimatlos.

 

Evangelische Sonntags-Zeitung, 12. November 2017

Ich bin vor allem ein Mensch

Die Schriftstellerin Deborah Feldman spricht über ihren Ausstieg aus der ultraorthodoxen jüdischen Gemeinschaft Satmar

Von Marlene Broeckers

OFFENBACH. Wie findet man den Weg heraus aus einer fundamentalistischen religiösen Sekte, in der man geboren und aufgewachsen ist? Deborah Feldman hat das ganz alleine geschafft. In Alten Schlachthaus in Offenbach erzählt sie, wie.

Deborah Feldman macht Eindruck. Sie wirkt offen und ehrlich, warmherzig und blitzgescheit. Sie hat einen schweren Weg hinter sich. Die 31-Jährige lebt seit drei Jahren in Berlin, seit diesem Sommer besitzt sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Auf ihrer Lesereise machte sie auch Station in Offenbach, auf Einladung der Max Dienemann/ Salomon Formstecher- Gesellschaft, die sich als Forum zeitgenössischen Judentums versteht.

Beim Lesen von »Unorthodox«, ihrem ersten Buch, 2012 in den USA erschienen, 2016 in Deutschland, fühlt man sich um einige hundert Jahre zurückversetzt in ein jüdisches Schtetl. Die chassidische Gemeinschaft Satmar, die 1905 im heutigen Rumänien gegründet wurde und nach dem Holocaust in den New Yorker Stadtteil Williamsburg in Brooklyn übersiedelte, lebt sehr weit in der Vergangenheit.

Den Körper bedecken und Kinder gebären

Die Satmarer glauben, dass alle Übel, die den Juden durch die Jahrhunderte hindurch bis zum Holocaust widerfuhren, Strafen Gottes sind. Strafen dafür, dass die Juden sich vom strenggläubigen Leben abgewandt haben. Dass sie bereit waren, sich zu assimilieren. Und dass sie den Staat Israel gegründet haben. Die jüdische Nation könne nur von Gott gegründet werden und dies werde am Tag der Rückkehr des Messias geschehen.

Um diesen Tag herbeizuführen, leben die Satmarer abgeschottet vom Einfluss der modernen Welt. Fernsehen und die englische Sprache sind verboten. Sie sprechen ausschließlich Jiddisch. Frauen sollen nicht lesen, brauchen keine große Bildung. Ihr Körper ist da, um ihn zu bedecken und Kinder zu gebären. Sie gehen in die Schule, um sich auf die Ehe und das Familienleben vorzubereiten.

In diese Welt wird 1986 Deborah Feldman hineingeboren. Als »unnormales« Kind – ihr Vater ist geistig behindert, ihre Mutter verlässt die Familie schnell wieder. Sie wächst bei ihren Großeltern auf. Großmutters Küche ist der einzige Ort, an dem das Kind sich geborgen fühlt. Zuhause fühlte sich Deborah Feldman in Williamsburg nicht, doch sie tut alles, um dazuzugehören.

Für 60 Dollar, die sie beim Babysitten verdient hat, kauft sie sich als Kind den Talmud, ein Buch, das Satmarer Frauen nicht lesen dürfen. Sie schleicht sich in Bibliotheken und liest und liest, um immer mehr zu verstehen, was mit ihrer Welt nicht stimmt. Mit 17 Jahren geht sie eine arrangierte Ehe ein, lässt sich den Kopf kahlrasieren, um künftig Perücken zu tragen. Zwei Jahre dauern die krampfhaften, von Schmerz und Panik begleiteten Versuche, mit ihrem Mann Eli ein Kind zu zeugen. Mit 24 Jahren lässt sie sich scheiden und vollzieht den radikalen Bruch mit der Gemeinde und ihrer Familie – das heißt mit allem, was ihr Leben bis dahin ausmachte.

Das alles schildert Deborah Feldman in »Unorthodox« sehr sachlich und glaubhaft. Dieser Eindruck bestätigt sich an dem Abend in Offenbach, der in weiten Teil ein Gespräch zwischen der Autorin und dem ARD-Hörfunkjournalisten Jochanan Shelliem ist.

Was macht die Faszination und Bindekraft des religiösen jüdischen Fundamentalismus aus? Auf diese Frage von Shelliem geben Feldmans Bücher keine Antwort. Niemand in der Umgebung der Heranwachsenden scheint glücklich zu sein in diesem von Vorschriften, Verboten und Kontrollen geprägten System. Einzig Großmutter Fraida, zärtlich Bubby genannt, gibt indirekt zu verstehen, dass sie einst in Osteuropa ein anderes Leben kannte, wo es undenkbar war, sich als Ehefrau den Kopf zu rasieren.

Deborah habe als Kind schon sehen können, dass die Großmutter anders dachte als die Gemeinschaft, sagt sei. Faszinierend an ihrem Großvater Zeidi fand sie, wie versunken und leidenschaftlich er in der Heiligen Schrift las – allein deswegen wollte sie ebenfalls lesen und nachvollziehen, was den Großvater so bewegt.

Befragt nach eigenen Erfahrungen in der Synagoge, sagt Feldmann, dass sie selten dort war, weil es für Frauen nicht als nötig galt. Sie fand es grotesk, dass sich aufgeputzte Frauen am Feiertag Simchat Torah auf der engen Galerie im Obergeschoss der Synagoge drängten, um durch winzige Gucklöcher in einer Trennwand den Satmarer Rabbi unten tanzen zu sehen.

Wie hat sie den Widerspruch ausgehalten, zuhause ein braves Mädchen zu sein, aber heimlich in der Bibliothek zu lesen? »Ich hatte ein inneres und ein äußeres Selbst entwickelt«, erklärt Feldman. »Das äußere war meine Maske, sie war dick und stark.« Ohne Maske leben zu können, das bedeutet Freiheit für Deborah Feldman. Diese Freiheit hat sie nach Jahren vollständigen Rückzugs in den USA und nach weiten Reisen auf den Spuren ihrer Vorfahren vor drei Jahren in Berlin gefunden, wo sie seit 2014 mit ihrem Sohn lebt. »Berlin ist eine Stadt für alle Heimatlosen, jeder darf da sein«, urteilt die junge Mutter. »Viele Juden haben den Weg aus ihrem Schtetl nach Berlin angetreten und das als Befreiung erlebt. Über sie zu lesen, das brauchte ich, um mein eigenes Ich aufbauen zu können.«

Sie will nie mehr zu einer Gemeinde gehören

Gegenwärtig herrsche ein starker Trend, die Identität über ethnische oder religiöse Zugehörigkeit zu bestimmen, stellt Deborah Feldman fest. »Was ich aber schätze, und das hat eine große Tradition im Jüdischen, ist das Anderssein. Mit der Strömung schwimmen, das möchte ich nicht, da habe ich zu viele schlechte Vorbilder. Lieber etwas wagen«, so wie der erste Bibel- und Religionskritiker Baruch de Spinoza im 18. Jahrhundert in Amsterdam.

Ob sie denn in Berlin schon eine jüdische Gemeinde gefunden habe, wollte Jochanan Shelliem wissen. »Ich habe viel Kontakt mit Juden in Berlin, im Ausland, auch in Israel«, sagt Feldman, »aber ich werde mich nie mehr im Leben einer Gemeinde anschließen «. Natürlich sei sie nach wie vor Jüdin, aber sie sei vor allem ein Mensch. »Die Menschlichkeit, die ich in mir spüre, wohnt auch anderen Menschen inne. Es geht um das, was Menschen gemeinsam haben.«

Deborah Feldman hat für ihre Befreiung einen hohen Preis bezahlt. Mit ihrer Familie hat sie keinen Kontakt mehr. Die Mitglieder wünschen ihr den Tod, sie empfehlen ihr, sich umzubringen. Ohne jeden Hass berichtet sie in »Überbitten« von ihrem siebenjährigen Weg nach draußen, der auch ein Weg zum Verstehen ihrer Vorfahren ist. Das jiddische Wort »iberbeten« gab es bis ins 19. Jahrhundert auch im Deutschen. Es bezeichnet die Verpflichtung zur Versöhnung, die Überredung zur Barmherzigkeit – und umfasst in Feldmanns Fall 700 Seiten Text. Kann sie anderen Menschen Rat geben? »Was soll ich raten? Ich werde oft gefragt. Und ich sage, was mir geholfen hat: Ganz viel lesen!«

 

PUBLIKUMSSTIMMEN


Annemarie Bolender, Alsbach-Hähnlein

„Deborah Feldman ist eine sehr besondere Person, so jung und reflektiert. Sie hat ein enormes Wissen, hat viel erlitten, wehrt das aber nicht ab. Es könnte ,exotisch‘ wirken, wenn sie erzählt, was ihr widerfahren ist, ist es aber nicht. Ich habe beide Bücher von ihr gelesen und sie an diesem Abend bei den ,Offenbacher Lesungen‘ erlebt: Deborah Feldman ist mit sich im reinen. Das war sehr authentisch. Es ist mir schon lange nicht passiert, dass mich jemand so gefesselt hat. Ich sage: Ich bin ein Fan von Deborah Feldman.“

Gideon Denz, Frankfurt

„Ich habe beide Bücher von Deborah Feldman gelesen und wollte sie schon seit längerem hören. Was und wie sie in Offenbach gelesen hat, fand ich sehr aufschlussreich, ebenso das Gespräch, das der Moderator Jochanan Shelliem mit ihr geführt hat. Es wäre gut gewesen, wenn man als Besucher im Anschluss noch Fragen an die Autorin hätte stellen können. Trotzdem: Die Veranstaltung war stimmig und gut durchdacht. Dazu kann ich nur gratulieren. Dass man zur Lesung mit einem Glas Sekt empfangen wird, fand ich schön. Gut wäre es, könnte man den Weg zur Alten Schlosserei besser ausschildern. Das beginnt schon an den Bushaltestellen und setzt sich am Eingang des Betriebsgeländes fort.“

Gabriele Loepthien, Neu-Isenburg

„Für diese junge Frau habe ich mich schon lange interessiert. Ich habe mich gefragt, wie Deborah Feldman aus dieser religiös-sektiererischen Szene herausgekommen ist. In ihren beiden Büchern erzählt sie es. Ich fragte mich: Wie kann ein Kind das aushalten? Ich habe Hochachtung vor Ihrer Entscheidung, mit 23 Jahren aus dieser Sekte auszusteigen und danach dem Druck der Familie und der ehemaligen Gemeinschaft standzuhalten. Der Moderator Jochanan Shelliem hat in dem Gespräch mit Deborah Feldman davon gesprochen, dass in ihrer Zeit bei den ,Satmarer Chassidim‘ ihre Persönlichkeit dekonstruiert worden sei. Die Autorin hat das bejaht. Das hat mir in der Seele wehgetan.“

Bettina Strübel, Frankfurt/Offenbach

„Mir hat die ,Offenbacher Lesung‘ mit Deborah Feldman sehr gut gefallen. Ich hatte ihr erstes Buch, ,Unorthodox‘, schon gelesen, ihr zweites Buch bestellt. Im Gespräch mit dem Moderator Jochanan Shelliem wurde bei dieser Lesung für mich vieles noch klarer.

Ich finde die jiddische Sprache sehr schön und es ist gut, wenn sie erhalten wird, aber wenn die ,Satmarer Chassidim‘ sie dazu benutzen, sich von der Welt ringsum abzuschotten, erschreckt mich das und macht mich sehr traurig. Das verändert doch die Sprache und verengt sie. Als Folge des Holocaust kann ich diese Verengung bis zu einem gewissen Punkt verstehen. Doch jeglichen Extremismus finde ich furchtbar.

Sehr gut war, dass zu Beginn der Lesung dargestellt wurde, dass es mit dem Pseudo-Messias Jakob Frank im 18. Jahrhundert auch in Offenbach eine radikale mystisch-sektiererische Sekte gab. Das hatte ich nicht gewusst.

Dass die Familie versucht hat, Deborah Feldman in den Selbstmord zu treiben, ihr sogar den Tod gewünscht hat, das in der ,Offenbacher Lesung‘ zu hören, hat mich entsetzt und ratlos gemacht. Es ist sehr mutig und gut, dass Deborah Feldman die andere Seite dessen aufzeigt, was wir mit dem Chassidismus verbinden, ob es gefühlvolle Gebete, Lieder oder Melodien sind. Leider gibt es auch diese dunkele Seite.“

 

FOTOS


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Alle Fotos von Brigitte Pfeiffer, Fotostudio Pfeiffer © Max Dienemann/Salomon Formstecher Gesellschaft e.V.